Wenn das Maß voll ist…

Ich mache gerade meinen Segelschein. Die Theorie liegt hinter mir, die Praxisprüfung unmittelbar vor mir. Am Samstag nun sollte die letzte Segelstunde stattfinden. Ich fühlte mich sehr gut vorbereitet. Die gefragten Manöver kannte und konnte ich – bisher hatte immer alles gut geklappt und der Segellehrer war zufrieden. Nur Knoten musste ich noch lernen. Einen Tag vor dem Termin rief der Segellehrer an und berichtete, dass „unser“ Boot dieses Mal doch nicht zur Verfügung stand. Wir konnten wahlweise den Termin verschieben oder auf einem anderen Boot die Stunde stattfinden lassen. Naiv, wie ich war, dachte ich „So anders kann das ja nicht sein.“ und sah die Veränderung als willkommene Herausforderung.

Doch dann lief der Samstag anders als ursprünglich geplant. Auf den letzten Drücker (genauer gesagt: zu spät) kam ich abgehetzt am Steg an. Das Boot sah wenig einladend aus. Es hatte seine besten Tage eindeutig schon hinter sich. Außerdem war es windig. Richtig windig. Eigentlich war ich froh darüber. Bisher hatten die Segelstunden immer bei strahlendem Sonnenschein und fast vollständiger Flaute stattgefunden. Zen-Segeln hatte ich das genannt. Alle Manöver konnten quasi in Zeitlupe durchgeführt werden. Ich wollte wenigstens ein Mal vor der Prüfung, bei richtigem Wind gesegelt sein!

Als wir dann jedoch auf dem Boot waren, was kleiner und deutlich instabiler war als das gewohnte, war ich mir da auf einmal nicht mehr so sicher. Das zweite Manöver brachte uns fast zum Kentern. Als wir dann alleine – ohne Segellehrer – noch einmal alles durchfahren sollten (Wende, Halse, Boje über Bord…) und ich am Ruder war, ergriff mich die Panik. Alle Kenntnisse waren weg. So kurvte ich verloren ein bisschen auf dem See herum und steuerte dann wieder den Anleger an. Ich wollte nur noch an Land.

Was war geschehen? Es war das „Zuviel-auf-einmal“. Die schlechte Grundvoraussetzung (abgehetzt) in Kombination mit zwei Veränderungen (Wind und neues Boot). Zwei Faktoren hätte ich vermutlich noch gut unter einen Hut bekommen, aber alle drei zusammen waren dann eben einer zu viel.

Was hätte ich tun können? Und warum berichte ich diese Geschichte überhaupt?

Auch im Arbeitsalltag können wir Veränderungen oftmals nicht beeinflussen. Der Wunsch, dass jede Veränderung erst einmal verdaut, angenommen und in den Alltag integriert werden kann, bevor die nächste vor der Tür steht, ist verständlich aber illusorisch. Wir leben in nahezu konstanter Veränderung. Dennoch gibt es immer kleine Stellschrauben, die wir selbst in der Hand haben. Was habe ich also gelernt?

Faktor I: Gute eigene Voraussetzungen schaffen statt abgehetzt anzukommen

Ich hätte den Termin, den ich vorher wahrgenommen hatte, verschieben können. Die zu knappe Planung mit der einhergehenden Hetze geht ganz klar auf mein Konto. Alternativ hätte ich mir, als ich merkte, dass ich eigentlich zu gestresst war, um direkt loszusegeln, noch ein paar Minuten Zeit nehmen können, um wieder zur Ruhe zu kommen. Ich war ja ohnehin zu spät.

Faktor II: Informationen einholen statt vom Wind weggetragen zu werden

Den Wind konnte ich nun wirklich nicht ändern. Aber ich hätte vielleicht den Segellehrer fragen können, welche Auswirkungen das ganz konkret auf das Fahrverhalten hat. Worauf wir achten müssten. Und ich hätte die Wetterbedingungen noch mehr als Chance verstehen können, mal unter realistischeren Bedingungen zu segeln. Denn es war kein Sturm. Erfahrenere Segler lachen sich hier vermutlich schon schlapp.

Faktor III: Fundierte Entscheidungen treffen statt eine Nussschale als Boot zu riskieren

Es wäre vielleicht geschickt gewesen, VORHER zu klären, welches neue Gefährt da auf mich zukommt. Natürlich sind Boote unterschiedlich und haben sehr unterschiedliche Fahreigenschaften. Dann hätte ich mir überlegen können, ob ich wirklich eine Stunde vor der Prüfung noch etwas Neues ausprobieren möchte, was mir unter Umständen nicht die gewünschte Sicherheit, sondern eher eine ganz neue Erfahrung/Herausforderung beschert.

Faktor IV: Auf sein Bauchgefühl hören!

Ich höre schon manchen denken „Ach, da muss man die Zähne zusammenbeißen. So schnell kentert man nicht!“. Ja, das habe ich mir natürlich auch gedacht. Zähne zusammenbeißen. Nicht aufgeben. Es schaffen müssen. Manchmal kann man dann das Ruder noch herumreißen. Aber mein Gefühl war klar: Ich will jetzt an Land! Und dann ist es eben genau das Richtige, sich an den Steg zu setzen und wieder zur Ruhe zu kommen. Und einen Alternativtermin zu machen, an dem dann hoffentlich alles besser läuft!

Also? Wieder was gelernt! Nächstes Mal weiß ich Bescheid.